dieBasis Hamburg Stammtisch

Und blüht es in einem Garten, obwohl es schneien sollte, so ist es sicherlich ein Hexengarten!“

Vortrag über die Parallelen früherer Hexenverfolgungen zu heutiger Stigmatisierung und Ausgrenzung

Am 5. März 2023 durften wir Dr. Gabriele L. bei einer unserer beliebten Stammtisch-Veranstaltungen als Referentin zum Thema Hexenverfolgung begrüßen. Rund 25 Gäste folgten der Einladung und erhielten nach dem dreißigminütigen Vortrag die Gelegenheit, bei Brunch und Cappuccino weitere Fragen zu stellen und die gewonnenen Erkenntnisse zu vertiefen.

Schon zu Beginn machte Gabriele deutlich, dass der Bogen des Themas über rund 400 Jahre reichen würde. Schließlich zeigt ein Blick in die Geschichte, dass für Krisen jeglicher Art immer wieder vermeintlich Schuldige gesucht und gefunden werden. So wurden bei der Pest, dem sogenannten „Schwarzen Tod“, im Winter 1348/49 – wie auch später so oft – Juden verantwortlich gemacht. Im 15. Jahrhundert, als aufgrund extremer Hitze- und Kältewellen Hungersnot und Seuchen ausbrachen, wurden wiederum Hexensekten „identifiziert“ und deren angebliche Mitglieder als Verantwortliche verfolgt.

Parallelen zu heute zieht Gabriele anhand beispielhafter Fragen und vermeintlich logischer Schlussfolgerungen: „Bist du Querdenker und rechts? Natürlich denkst du rechts, auch wenn du es nicht zugibst. Oder hörst du einen Vortrag von Daniele Ganser? Dann bist du auch rechts.“ Jemand mit Scheinargumenten in eine bestimmte Ecke zu drängen, ist mit dem Ende der Hexenverfolgung also keineswegs außer Mode gekommen. Schon bei den Hexenprozessen galt die Umkehr der Beweislast, das heißt, die oder der Angeklagte musste beweisen, keine Hexe zu sein – was nicht zuletzt deswegen schwierig war, da ein ordentlicher Rechtsbeistand für die Angeklagten erst gegen Ende der Prozesse im 17. Jahrhundert zum guten Ton gehörte. Die Beweisumkehr oder auch die Kontaktschuld sind inzwischen aus der juristischen Argumentation verschwunden, jedoch urteilen Menschen im Zivilleben selbst heute noch gelegentlich aufgrund solcher Prinzipien. Wer Kontakt zu Menschen hatte, die als „rechts“ angesehen werden, ist plötzlich selber „rechts“ oder zumindest „rechtslastig“. Sich gegen solche Vorwürfe zu wehren, kostet sehr viel Energie und ist manchmal sogar unmöglich.

In der sich anschließenden Diskussion/Fragerunde wurden weitere Ähnlichkeiten zur heutigen Zeit deutlich: Können wir denjenigen, die z.B. für die Corona-Maßnahmen verantwortlich sind, angesichts der daraus folgenden Diskriminierungen überhaupt vergeben? Ist die Absicht der Einführung einer Impfpflicht bzw. der beabsichtigten Nötigung zur Impfung verzeihlich? Wie gehen wir um mit langjährigen Freunden, die uns während der letzten drei Jahre gemieden und ausgegrenzt haben?

Gabrieles Antwort darauf lautete: Um zu vergeben, müsse eine Schuld zunächst einmal eingestanden werden. Ob im Anschluss Vergebung oder Verzeihung erfolgten, sei eine sehr individuelle und persönliche Entscheidung.


Es folgt eine kleine inhaltliche Zusammenfassung des Referats, mit freundlicher Genehmigung von Gabriele:
Das Internet von damals

Ab dem 15. Jahrhundert konnten Thesenpapiere, aber auch Fake-News ihren Weg in die breite Masse finden. Möglich machte dies um 1440 Johannes v. Gutenberg mit seiner Erfindung des Buchdrucks. Flugblätter waren also so etwas wie das Internet der damaligen Zeit.

Klimaveränderungen, Krisen und die „neuen“ Schuldigen

Im 15. Jahrhundert führten Klimaveränderungen1 zu wirtschaftlichen Katastrophen, insbesondere zu Preiserhöhungen und Hungersnöten. Kluge Denker versuchten den Problemen mit Hilfe philosophisch-theologischer Fragestellungen auf den Grund zu gehen, denn Naturwissenschaften als eigene Disziplin von akademischem Rang gab es damals noch nicht. Wer jedoch statt eines theoretischen Diskurses „praktische“ Lösungen bevorzugte, (er)fand mitunter Hexensekten, deren Mitglieder sich angeblich heimlich zum Schaden des Volkes trafen. In der Folge gab es zum Beispiel in der französischen Landschaft Dauphiné eine Reihe von Hexenprozessen und Hinrichtungen, die von übereifrigen Richtern geführt wurden.

Allgemeines Misstrauen führte zu Denunziationen und damit zur sprichwörtlich gespaltenen Gesellschaft, auch in vielen anderen Gegenden und Ländern Europas:

„Und hat es mal in einem Garten geblüht, obwohl es doch eigentlich schneien sollte, so war dieses sicherlich ein Hexengarten!“

Mit den 1580er Jahren setzte die Hauptwelle der Hexenverfolgung ein – parallel mit der sich entfaltenden Klimakrise. Die Verfolgung überwand soziale sowie Geschlechterschranken.

Die „Last Generation“

Möglich wurden die Hexenverfolgungen vor allem dadurch, dass alle Welt von der Existenz von Hexen und Hexerei überzeugt war. Schließlich existierten Hexen nicht nur nach dem Volksglauben, auch in der Bibel war schon die Rede von ihnen gewesen. Ohnehin war man bereits in der Antike allenthalben von der Existenz von Zauberei und schwarzer Magie überzeugt. Die Angst hatte das Volk fest im Griff, eine Angst, die angesichts der herrschenden Zustände nicht unberechtigt war. Das Volk, aber auch die Theologen waren überzeugt, der „Letzte Generation‟ anzugehören, sie erwarteten die Endzeit und das Gericht Gottes, es herrschte eine apokalyptische Stimmung.

Machtansprüche und Machtspiele zwischen Gruppen und Klassen

Schaut man genauer hin, ging es vielfach um simple Machtansprüche und Machtspiele zwischen Gruppen und Klassen. Oft hatte der Prozess gar nichts mit Hexerei, schon gar nicht mit Hebammen oder den sprichwörtlichen Kräuterweibchen zu tun, sondern speiste sich aus nur allzu menschlichen Bedürfnissen und Fantasien. In einem Fall ging es um Grenzstreitigkeiten, im nächsten um Land und Vieh und bei anderen schlicht um die Befriedigung niederer Rachegelüste. Der Vorwurf der Hexerei wurde häufig nur benutzt, um offene Rechnungen zu begleichen. Für die Angeklagten sah es in jedem Fall schlecht aus. Gestanden sie aus Angst vor Folter oder Bestrafung, war der Fall klar. Leugneten sie den Vorwurf, war der Fall ebenso klar, da der Teufel gezwungen hatte zu leugnen.

Die Hexenkommissare als Berater der Gerichte

Zur Zeit der Hexenprozesse wurden von einer übergeordneten Instanz sogenannte Hexenkommissare zur Beratung und Kontrolle der Gerichte entsandt. Eigentlich sollten diese Kommissare Auswüchse vermeiden helfen, stattdessen förderten sie sie jedoch häufig. So schüchterten sie Schöffen ein und bezichtigten sie, falls sie zu widersprechen wagten, ebenfalls der Hexerei. In der Folge mussten Richter und Schöffen mit ansehen, wie Menschen aus ihrer Nachbarschaft, ja, oft eigene Familienmitglieder gefoltert und verurteilt wurden. Als Beispiel ist Hermann Löher aus Rheinbach zu nennen. Löher war Kaufmann, Stadtrat, Bürgermeister und als Schöffe an vielen Hexenprozessen beteiligt. Besonders der Fall einer reichen Witwe, die zu Tode gefoltert wurde, verfolgte ihn zeitlebens. Im Alter von achtzig Jahren schrieb er, getrieben von der Frage nach der eigenen Mitverantwortung, seine Erfahrungen nieder und brachte sie als Buch heraus.

Die Rolle der Kirche

Kirchenoberhäupter waren zugleich Landesfürsten, hatten also gewissermaßen „zwei Hüte auf‟. In Gerichtssachen waren sie Landesfürsten und keine Kirchenleute. Sie urteilten also als Juristen, nicht als Priester. Dies führte zum bleibenden Vorwurf, die Kirche habe die Hexen verfolgt, was so allerdings nicht richtig ist – mit der Ausnahme, dass auch Priester von der Hexerei überzeugt waren. Hexerei galt sogar als so abscheuliches Verbrechen, dass man es in Kauf nahm, nötigenfalls auch ein paar Unschuldige hinzurichten. Heute werden solche Opfer als „Kollateralschaden“ bezeichnet.

Manche Priester waren allerdings sogar Beichtväter der vermeintlichen Hexen. Auf diese Weise erhielten sie Einblicke in die Zustände in den Gefängnissen. Einige von ihnen versuchten daraufhin, sich gegen Verhältnisse zu stemmen, und setzten sich dafür ein, dass Beschuldigte einen Rechtsbeistand bekamen.

Wie kann eine Gesellschaft diesen Teufelskreis verlassen?

Nachdem es in den Jahren 1628 und 1629 im Erzbistum Köln zu einer Prozesswelle gekommen war, verfasste der Jesuit Friedrich Spee anonym die Cautio Criminalis („Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse im Jahr 1631“).

Dabei kritisierte Friedrich Spee nicht den Glauben an die Hexerei an sich, sondern speziell den „Aberglauben“ und die „Unwissenheit des Volkes“ sowie dessen „Missgunst“. Auch klagte er an, dass Richter für jede Verurteilung eines Schuldigen ein Kopfgeld bekamen – eine besonders perfide Art der „Motivation“. Die Fürsten wiederum schoben laut Spee, statt die Beamten zu beaufsichtigen, jegliche Schuld auf sie ab. Auch weitere Theologen – sie waren allesamt Jesuiten mit einem klar gegenreformatorischen, also antiprotestantischen Diskurs – übten Kritik an den Hexenprozessen. Sie erinnerten Fürsten und ungerechte Richter an ihre eigene Taufe, welche die Verpflichtung zu einem ethisch-moralischen Leben beinhalte und dass sie somit eine Todsünde begingen und von Gott selbst schuldig gesprochen und der Verdammnis anheimfallen würden, wenn sie Unrecht täten – unter dem herrschenden Zeitgeist gewiss eine wirksame Drohung. Im Laufe der Zeit wiesen auch Universitäten und Obergerichte vermehrt darauf hin, in Streitfällen nach realen Ursachen zu suchen, anstatt „Zauberei“ verantwortlich zu machen. Nach und nach neigten sich die Hexenprozesse dem Ende zu. Die Verurteilung der so genannten Hexe von Glarus 1782 wird als das Ende dieser wenig ruhmreichen Ära angesehen.


Literatur:

  • Th.P. Becker, Die „wehmütige Klage“ des Hermann Löher – Ein Augenzeugenbericht über die Hexenverfolgung in einer rheinischen Kleinstadt, unter: www.zeitenblicke.de/2002/01/becker/becker.html, abgerufen am 25.01.2023.
  • Th. P. Becker, Hermann Löher, Leben und Werk, unter: www.rheinbach.de, abgerufen am 06.02.2023.
  • W. Behringer, Hexen und Hexenprozesse in Deutschland, München 20015.
  • J. Dillinger, On Politics, State-Building, and Witchhunting, in: B.P. Levack (ed.), The Oxford Handbook of Witchcraft, Oxford 2014, S. 528-547.
  • W. Kahl / G. Lademann-Priemer (hrsg.), Hexerei-Anschuldigungen in weltweiter Perspektive, Hamburg 2020.
  • B.P. Levack, The Decline and End of Witchcraft Prosecutions, in: The Oxford Handbook of Witchcraft, Oxford 2014, S. 429-446.
  • Spee, Friedrich von, Cautio Criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse, deutsch München 20037.
  • H. Weber / G. Franz, Friedrich Spee (1591-1635) – Leben und Werk und sein Andenken in Trier, Trier 1996.

1 Nach der Warmzeit von 900 bis 1300 (auf dem Weinberg von Hitzacker wurde Wein angebaut) folgte vom 15. bis 19. Jahrhundert die Kleine Eiszeit. Allerdings werden das Jahr 1540 und die folgenden elf Jahre dennoch als Periode extremer Hitze bezeichnet, in der das Vieh verdurstete, die Ernte miserabel ausfiel und die Menschen auf den Feldern zusammenbrachen.