Gesprächsabend mit Frau Dr. Ute Bergner – Wege zur Mitmach-Demokratie

Frau Dr. Ute Bergner besuchte dieBasis Hamburg (Foto: Arlene Knipper)

Am 18. Mai 2022 lud der Landesverband Hamburg die Naturwissenschaftlerin (Physik), Unternehmerin und Politikerin Frau Dr. Ute Bergner zu einem Gesprächsabend in die Hansestadt ein. Die ehemalige FDP-Abgeordnete und Mutter von vier Kindern ist derzeit fraktionsloses Mitglied des Thüringer Landtags. Ende vergangenen Jahres brachte sie ihr erstes Buch mit dem Titel “Mitmach-Demokratie: Vorbild Natur – Auf Augenhöhe vernetzt” auf den Markt. Bei dem Titel überrascht es kaum, dass schnell Gemeinsamkeiten mit dem basisdemokratischen Ansatz der dieBasis gefunden sind. Doch es gibt auch interessante Unterschiede in den Ansichten, die Frau Bergner im anschließenden Interview erläutert hat.

Es folgt das Video zum Interview, darunter findet ihr zusätzliche eine Textversion.

Vielen Dank, dass Sie der Einladung der Basisdemokratischen Partei Hamburg gefolgt sind und den weiten Weg aus Thüringen gekommen sind, um ein ausführliches Gespräch und einen Gedankenaustausch mit uns zu führen. Wie haben Sie den Abend erlebt?

Ich muss sagen, ich habe den Abend genossen. Es war eine angenehme Atmosphäre und gute Diskussionen und es war ein sehr schöner Abend für mich.

Sie sind Physikerin, Unternehmerin, Mutter von vier Kindern und auch Mitglied des Thüringer Landtages, früher FDP, jetzt heute fraktionslos. Wie ist es möglich all diese Herausforderungen unter einem Hut zu bekommen?

Dazu muss ich sagen, ich bin ja nicht Unternehmerin, Mutter von kleinen Kindern und Politikerin zur gleichen Zeit. Als die Kinder klein waren, viel Arbeit gemacht haben, ich ständig da sein musste, habe ich noch in der Wissenschaft gearbeitet, als Unternehmerin mussten meine Kinder sehr frühzeitig selbstständig werden. Politik mache ich auch erst, seitdem ich wesentliche Teile meines Unternehmens an meinen Sohn abgegeben habe. Um ehrlich zu sein – alles zusammen geht nicht. Der Tag hat nur 24 Stunden.

Sie haben neulich ein Buch verfasst – “Mitmach-Demokratie”. Darin kritisieren Sie die Entfernung des Menschen von seinem Ursprung, von der Natur grundlegend. Was ist an dieser Entwicklung so schlimm?

Unsere Erde, unsere Natur ist aufgebaut und arbeitet in Kreisläufen. Das sind mitunter langfristige Kreisläufe bis sich wieder etwas regeneriert hat. Auch wir als Menschen leben eigentlich mit dem Sonnenzyklus und das sind Dinge, die gerade durch die Technisierung unserer Welt anders geworden sind. Das ging los mit der Einführung der Produktion, dass die Menschen eben zwölf Stunden arbeiten mussten, jetzt arbeiten sie acht Stunden. Es muss alles in Zeittakten funktionieren, die nicht mit unseren biologischem Rhythmus übereinstimmen. Wenn ich z. B. Dreifachschicht arbeite und immer wechsle, ist das für unseren Organismus nicht gut. Ich denke, wir sollten uns mehr auf unsere natürlichen Bedingungen besinnen und versuchen, dass Natur und Technik sich nicht ausschließen, sich nicht gegenseitig zerstören, sondern sich gemeinsam ergänzen. Dafür möchte ich eintreten, dass die Menschen wieder dazu kommen.

Können Sie ein paar Beispiele nennen, wie das konkret funktionieren könnte?

Ja, nehmen wir CO2. CO2 ist kein Schadstoff. CO2 ist ein Rohstoff. Bringen wir CO2 in den Kreislauf, wenn CO2 produziert wird, gibt es auch Dinge, die CO2 zum Leben brauchen – z. B. alle Pflanzen dieser Erde. Ohne CO2 würde diese Pflanzen alle nicht existieren. Mithilfe der Photosynthese werden CO2 und Wasser in für uns auch lebenswichtigen Sauerstoff und natürlich biologische Gewebe wie Holz transferiert.

Sie sprechen sehr viel über die Natur und Ihnen ist das Thema Umwelt wichtig. Wieso waren Sie dann in der FDP und nicht bei den GRÜNEN?

Ich bin von zu Hause aus ein liberaler Mensch und komme aus einer liberalen Familie. Ich bin mit 18 Jahren in der damaligen DDR in die LDPD Liberale Demokratische Partei Deutschland eingetreten und bin da auch die ganze Zeit geblieben. Dann gab es einen Vereinigungsparteitag zwischen der LDPD und der FDP und dann war ich automatisch FDP-Mitglied.

War das damals auch ein wichtiges Thema oder haben Sie es persönlich in die Politik mit reingebracht?

Ich muss sagen, seidem ich im Landtag bin oder schon während des Wahlkampfes war es mir sehr wichtig, dass auch die FDP Umweltthemen belegt. Ich habe mich in der Sache sehr stark gemacht, dass es ein ausführliches Umweltprogramm für Thüringen gegeben hat.

Wie kann man zu einer Rückkehr, zur Rücksicht auf natürliche Prinzipien und Gleichgewicht kommen?

Wir müssen den Menschen klar machen, dass alles in Kreisläufen zu denken ist und auch sagen, dass es keine Abfälle gibt. Jeder Abfall ist ein Rohstoff. Bisher hat man Raubbau an der Natur betrieben, indem man eben Erze genommen hat und das dann hinterher weggeschmissen hat. Wenn ich z. B. durch die Südsee fahre und sehe, dass dort Autowracks über Autowracks rumliegen und die nicht entsorgt werden, dann schmerzt es doch, was mit unserer Natur gemacht wird.

Wie hat Sie Ihre Erfahrung in der DDR für die Dynamik während der Corona-Krise sensibilisiert?

Das ist eine gute Frage. Ich bin in einem Land groß geworden, was von sich aus gesagt hat, es ist eine Dikatur. Wir haben in der Dikatur des Proletariats gelebt. Ich habe gelernt, wie man sich auch in einer Diktatur arangieren kann und sich ein Leben gestalten kann. Mit dem Fall der Mauer habe ich mich riesig gefreut, in einer freiheitlichen Demokratie leben zu können. Irgendwann Anfang 2010/2011 habe ich zunehmend und dann immer häufiger Dèjá-vu-Erlebnisse gehabt. Das hast du doch schon mal erlebt, das war doch schon mal. Und ich bediente mich plötzlich immer mehr der Instrumente, die ich gelernt habe, wie ich in einer Diktatur leben konnte und mein Leben gestalten konnte. Das habe ich dann auch mit Menschen geteilt, insbesondere die Menschen aus dem Osten. Die sagten, stimmt, da hast du eigentlich Recht. Das nehme ich auch wahr. In den Gesprächen ist mir eben aufgefallen, diese Erlebnisse haben die Menschen aus den alten Bundesländern eben nicht gehabt. Die konnten es gar nicht haben, weil diese Erlebnisse ja gar nicht da waren. Das ist eine Entwicklung, die ich für sehr kritisch halte.

In den Medien wird oft von DER Wissenschaft gesprochen. Was ist Ihr Verständnis von Wissenschaft?

Es gibt nicht DIE Wissenschaft. Wissenschaft ist vielfältig und komplex. In der Wissenschaft gibt es viele Meinungen und da müssen alle Meinungen zugelassen werden und zur Diskussion stehen. Es muss einen sachlichen Meinungsstreit geben und keine ideologischen Schubladen, wo irgendwas reinschoben wird.

Wie sind Sie zur Politik gekommen? Sie haben ja vorher etwas ganz anderes gemacht. Was hat Sie dazu bewogen?

Ich war ja in der DDR schon in der LDPD. Ich war dann in Wendezeiten sehr aktiv. Nach der Vereinigung war ich in der FDP in Jena Kreisvorsitzende. Ich habe den ersten Bundestagswahlkampf für die FDP in Jena geleitet und war dann ganz stolz. Wir hatten damals ein Wahlergebnis von 18 Prozent für die FDP in Jena beigetragen. Und dann kam irgendwann die Entscheidung, was ich in meinem Leben machen will und dann habe ich mich für die Industrie entschieden und ein eigenes Unternehmen gegründet. Und nachdem ich in der Übergabephase der Firma zu meinem Sohn war, bin ich von meinen Parteifreunden bei der FDP gefragt worden, ob ich mir eine Leben nach Vakom vorstellen könnte und mich im Thüringer Landtag mich engagieren kann.

Es werden jetzt viele Maßnahmen gelockert. Wie ist Ihre Einschätzung? Kehrt bald die alte Normalität zurück?

An der Stelle muss ich sagen, ist Bodo Ramelow vor zwei Jahren wohl sehr ehrlich gewesen. Er hat gesagt, es wird keine alte Normalität mehr geben, wir müssen uns mit einer neuen Normalität arrangieren. Ich habe die Befürchtung, dass da ein Funken Wahrheit drinne ist. Ich wünsche mir, und da müssen wir sehr aktiv arbeiten mit den Menschen, dass wir tatsächlich zu einer alten Normalität zurückkehren können. Ich habe jetzt Länder in Europa besucht und da gibt es eine alte Normalität, wenn ich in Kroatien bin, in Bosnien-Herzegowina, in Tschechien. Da ist das Leben schon wieder ganz normal und wenn ich dann wieder nach Deutschland komme und sehe, wie hier noch alle Masken tragen, dann schüttle ich nur mit dem Kopf. Weil ich nicht weiß, was das wirklich bringen soll und vor allen Dingen gibt es so viel Literatur und Studien dazu, dass das Maßnahmen sind, die nicht wirklich helfen.

Sie haben sich in Ihrem Buch auch mit der Rolle der Angst auseinandergesetzt. Welche Rolle spielt Angst in unserer gegenwärtigen Politik?

Es wird in unserer Gesellschaft sehr viel mit Angst gearbeitet. Das haben wir in der Corona-Phase gesehen, aber auch im alltäglichen Leben wird mit Angst gearbeitet. Gucken wir uns mal an, wenn wir zum Arzt gehen – der macht uns doch Angst. Ich hatte mir vor 1,5 Jahren das Sprunggelenk gebrochen. Und was hat der Arzt zu mir gesagt, wenn Sie sich nicht operieren lassen, werden Sie nie wieder in unseren schönen Alpen wandern können. Das ist doch eine Drohung. Ich habe mir diese Angst nicht übertragen lassen. Ich habe dieser Angst keinen Raum gegeben. Ich habe mich nicht operieren lassen, habe alternative Heilmethoden eingesetzt und konnte nach vier Wochen wieder laufen. Es ist wirklich wichtig, dass wir Angst bei uns keinen Raum geben. Denn Angst macht passiv, träge, lässt uns nicht handeln und macht uns gefügig.

Was können Sie der Partei dieBasis aus Ihrer Sicht bei diesem Prozess in eine neue politische Richtung zu gehen, die Gesellschaft wieder so aufzubauen, dass die Umwelt geachtet wird, dass die Menschen demokratisch selbst entscheiden können uws. Wie kann dieBasis da eine positive Rolle spielen?

Ich kenne viele Menschen, die in der Basis organisiert sind und die ich sehr schätze und wo ich auch denke, dass wir gemeinsam sehr viele Ideen und Gedanken haben. Was ich aber aus den Gespräche mitgekriegt habe – die reine Basisdemokratie, dass alles basisdemokratische entschieden wird, ist aus meiner Sicht ein unpraktikables Modell. Weil die Bürger wollen nicht zu jeder Kleinigkeit befragt werden. Dann müssten sie sich ja mit allem beschäftigen und sie wollen ja eigentlich was anderes im Leben. Deswegen denke ich, also auch eine Diskussionsgrundlage für die Basis mal darüber nachzudenken, ob eine plebiszitäre Demokratie – also eine repräsentative Demokratie – mit wichtigen und festgeschriebenen basisdemokratischen Elementen nicht ein praktikableres Modell ist. Wo man sagt, gewisse Prozesse, die laufen eben und über die wesentlichen Entscheidungen wird eben eine Volksbefragung gemacht. Und ich denke, wir sehen ja in der Schweiz, dass es eigentlich ganz gut funktioniert.

Was sind Ihre Ideen, wie sich das politische System ändern sollte?

Die Grundlagen, die wir haben für eine Demokratie, die sind gut gelegt. Ich denke auch, das Grundgesetz, was wir haben, bietet einschließlich Paragraph 20 sehr gute Rahmenbedingungen, eine Demokratie zu gestalten. Aber was aus meiner Sicht weiterentwickelt werden müsste, ist, dass wir eine konsequente Trennung der Säulen Legislative, Exekutive und Judikative haben und dass wir nicht so viel von Verschränkungen reden müssen. Und das zweite, was ich denke, was ganz wichtig wäre für unsere Parlamente, wenn nicht mehr mit Koalitionen arbeiten, sondern mit wechselnden Mehrheiten im Parlament, wo für jede Sachfrage eine andere Mehrheit gefunden wird. Ich bin davon überzeugt, dass da weder extrem rechte oder extrem linke Positionen sich durchsetzen werden, sondern, dass wir da eben wirklich Kompromisse im Interesse des Volkes aushandeln können.

Liebe Frau Ute Bergner, ich bedanke mich für dieses Gespräch.