Rezension: „Das Café der trunkenen Philosophen“ von Wolfgang Martynkewicz

Von den wilden Anfängen der Frankfurter Schule zum neuen Denken

Es ist nicht das erste Mal, dass wir eine schleichende Zerstörung unserer Demokratie und Republik erleben: In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts ist die Weimarer Republik zerstört worden. Dieser Prozess wird sichtbar, verständlich und nachvollziehbar in dem wunderbaren Buch Das Cafe der trunkenen Philosophen.

Das gepflegte Café Laumer in Frankfurt-Westend wurde im Sommer 1930 zum Treffpunkt einer illustren Gruppe: Von der geselligen Atmosphäre angelockt, trafen hier die Anhänger des Instituts für Sozialforschung auf den Kreis um Karl Mannheim und Norbert Elias, welche den Soziologen um Alfred und Max Weber zugerechnet wurden.

Die gegensätzlichsten Positionen prallten aufeinander, während in einem Punkt bemerkenswerte Einigkeit herrschte: In der Soziologie sah man die neue Königsdisziplin. Man riskierte einen völlig anderen Blick, befreite sich vom hochgestochenen metaphysischen Denken (unter anderem geprägt durch Martin Heidegger) und wollte endlich die »wirkliche Welt« betrachten.

  • Im Vergleich zur Entwicklung heute wird deutlich, dass damals die gleichen Probleme falsch eingeschätzt wurden, die uns heute bedrohen:
    Verrohung und Verfälschung der deutschen Sprache durch Medien und Politik; die Beispiele kennen wir alle.
  • Abwesenheit einer anspruchsvollen und heute sogar einfachen Konkurrenz verschiedener Ideen; das Wort „alternativlos“ gehört sicherlich zum Tiefpunkt unserer ehemaligen Diskussionskultur und kommt nebenbei bemerkt aus dem Gedankengut des Stalinismus.
  • Auffällig ist die Vernachlässigung der deutschen Sprache und deren Grundlage des exakten Denkens in unseren Schulen im Vergleich zu den damaligen Diskussionen, die in diesem Buch sehr gut nachgezeichnet werden.
  • Damit einher geht die ständige Absenkung der Ansprüche an den Schulen, gerade in den Aspekten Sprache, Logik und Mathematik, sowie die zunehmende Polarisierung und Emotionalisierung der Konflikte durch Kommunisten und Nationalsozialisten.

Wolfgang Martynkewicz verfolgt die Lebenswege der prominenten Diskutanten des »Kränzchens« von ihren Anfängen über das Exil bis in die junge Bundesrepublik und führt anschaulich vor Augen, wie die Revolutionierung der Lebensart mit der Revolutionierung des Denkens einherging. Beginnend in den 1930er Jahren, zeichnet das Buch den Aufstieg der NSDAP nach und zeigt, wie die politischen Veränderungen das Leben und die intellektuellen Kreise in Deutschland beeinflussten.

Martynkewicz gelingt es, die Atmosphäre dieser Zeit einzufangen, indem er die öffentliche Ignoranz der Bedrohung des bürgerlichen Lebens durch die Nationalsozialisten darstellt. Das Café Laumer, ein Treffpunkt für Philosophen, Künstler und Denker, wird dabei zu einem Mikrokosmos der gesellschaftlichen Umbrüche und politischen Diskussionen. Die Vordenker der Frankfurter Schule – unter ihnen prominente Vertreter wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer – wurden durch die Verhältnisse gezwungen, sich zu positionieren, zu fliehen und im Exil neu anzufangen und zurecht zu kommen.

Besonders illustrativ sind die Kapitel, die das Leben im Exil in Amerika schildern, und die sich daraus ergebenden Veränderungen auf die Perspektiven, die sich aufgrund der amerikanischen Freiheit ergeben und durch die amerikanische Lebenswirklichkeit entstehen. Martynkewicz beschreibt mit feinem Gespür, wie die Intellektuellen ihre Wurzeln in der alten Heimat nicht vergessen können und gleichzeitig in der neuen Welt versuchen müssen, Fuß zu fassen. Die Jahre des Exils sind geprägt von Heimweh, Verlust, der Suche nach einer neuen Identität und dem Wunsch nach Rückkehr in ein deutsches, bürgerliches Leben.

Tatsächlich bleibt die Beziehung zu den USA ambivalent gerade nach der Rückkehr der Protagonisten in ein zerstörtes Heimatland, dass sowohl materiell als auch ideell neu aufgebaut werden muss.

Das Café der trunkenen Philosophen ist ein tiefgründiges, philosophisches, bewegendes Werk, das die komplexe Beziehung zwischen Politik, Philosophie und persönlichen Schicksalen in einer der dunkelsten Perioden der deutschen Geschichte thematisiert.

Auch wenn sich die Geschichte nicht wiederholt: die Parallelen zur aktuellen Entwicklung sind offensichtlich und bedrückend: die zunehmenden Konflikte zwischen Rechts und Links, eine sich nicht wehrende Mitte, eine sich auflösende bürgerliche Schicht, die sich nicht traut, ihre Werte zu verteidigen: all dies erinnert sehr stark an die identischen Umstände vor 100 Jahren. Das 1000jährige Reich fiel nicht vom Himmel, sondern war das Ergebnis der extremen Spaltung der Deutschen in Kommunisten und Nationalsozialisten und einer intellektuellen Mitte, die sich nicht vorstellen konnte, wie schrecklich die Herrschaft der Nationalsozialisten werden könnte.

Autor: Heinrich Wolerts

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