Plenarsitzung am 10. September 2025

dieBasis hat die erste Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft nach der Sommerpause beobachtet. Wir schauen auf das parlamentarische Geschehen aus der Sicht mündiger und kritischer Bürgerinnen und Bürger – und berichten über Vorlagen und Abläufe, die besonders bemerkenswert oder diskussionswürdig erscheinen.
Was auffiel
Dies sind die Zahlen zum sozialen Wohnungsbau:
Diesmal nahm Bürgermeister Tschenscher – im Gegensatz zu vorhergehenden Plenarsitzungen – zumindest zeitweise an der ersten Plenarsitzung nach der Sommerpause teil. Dabei schaute er gebannt auf sein Tablet.
Die Debatten schienen ihn wenig zu interessieren. Wahrscheinlich hat er die ausgetauschten Argumente alle schon hundertfach gehört und die Redebeiträge hörten sich teilweise wie Wahlkampfreden an. Außerdem sind Abstimmungen so vorhersehbar, dass sie totlangweilig sind. Die Fraktionen stimmen immer als Block ab und damit ist bei jeder Abstimmung klar, wie das Ergebnis aussieht: Anträge der Regierungskoalition werden angenommen – Anträge der Opposition abgelehnt.
Auf die Argumente kommt es dabei nicht an. Im Ergebnis kann man Abstimmungen in Parlamenten weglassen, solange ein „Fraktionszwang“ herrscht. Das Folgen des in Artikel 7 der Hamburgischen Verfassung geforderten Gewissens von Abgeordneten dürfte bei Ausscheren aus der Partei- oder Regierungslinie erhebliche negative Konsequenzen haben.
Aber nun zu den politischen Inhalten: Die Tagesordnung war nach der Sommerpause ziemlich voll, wurde aber in einem manchmal atemberaubenden Tempo abgehandelt. Die Sitzung war dann überpünktlich zu Ende.
Parkplatzabbau und Seniorenticket
Der erste Tagesordnungspunkt der Aktuellen Stunde war: „Gebrochene Versprechen: Rot-grüner Parkplatzabbau und Stauchaos gehen weiter, Seniorenticket Fehlanzeige.“ Hieran entzündeten sich aufgeladene Debatten.
Dass das Thema ein Dauerbrenner in Hamburg ist, kann jeder Verkehrsteilnehmer jeden Tag hautnah erleben: und nicht nur Autofahrer, sondern auch Fahrradfahrer und Fußgänger. Umwege und Verkehrschaos scheinen Teil einer übergeordneten Strategie zu sein. Wir berichteten schon darüber: Hat die Bielefeld-Verschwörung ausgedient? – Landesverband Hamburg | dieBasis
Das in der letzten Legislaturperiode der Koalition 4.100 Parkplätze „vernichtet“ wurden, ist gesicherte Tatsache. Und der Parkplatzabbau wird auch in der neuen Legislaturperiode fortgesetzt.
Den geplanten Wegfall von weiteren rund 4.000 allgemeinen Parkplätzen hielt die Koalition dem Hinweis entgegen, dass in den Parkhäusern innerhalb des Ringes 1 – also im erweiterten Innenstadtbereich – im Durchschnitt mehrere Tausend Stellplätze frei seien. Eine zivilgesellschaftliche Auswertung auf Basis städtischer Live-Daten ermittelte über einen längeren Zeitraum hinweg in 29 Parkhäusern mit insgesamt 12.539 Plätzen durchgehend mehr als 4.300 freie Stellplätze.
Preislich ist der Unterschied ebenfalls erheblich: Beispielhaft kostet das Parkhaus Rödingsmarkt 2,00 € je 30 Minuten (Tageshöchstsatz 30 €; Dauerstellplatz etwa 232 € pro Monat), während der Bewohnerparkausweis in Hamburg 65 € pro Jahr (online) kostet.
Überlegungen, dass dieser Vergleich aufgrund der Entfernung zur eigenen Wohnung oder aufgrund der eklatanten Preisunterschiede eine ziemlich sinnlose Aussage ist, scheint niemanden in den Sinn gekommen zu sein.
Kommen wir nun zu unseren Senioren: Die Aussagen waren noch lebensferner und offensichtlich politisch motiviert:
Es wurde gesagt, dass Mobilität kein Luxus sei. Damit stellt sich die Frage, ob es ein Grundrecht eines jeden Menschen in diesem Land ist. Es wurde auch davon gesprochen, dass ältere Menschen von Altersarmut und Ausgrenzung bedroht seien.
Schüler und Studenten fahren in Hamburg inzwischen mit verbilligten Tickets. Für Senioren gibt es keine Fahrpreisermäßigung. Wenn man bedenkt, dass rund 82.000 ältere Menschen in Hamburg an der Armutsgrenze leben, ist dies ein bedenklicher Zustand.
Als drittes kam der Satz: „Radverkehr auf die Straße“.
Kombiniert man alle Aussagen, stellen sich einige Fragen:
- Wieso gibt es verbilligte Fahrscheine für Schüler und Studenten aber keine für Senioren?
- Will man Senioren auf das Fahrrad zwingen, obwohl viele ältere Menschen gar nicht mehr Fahrrad fahren können oder sich vollkommen unsicher im Straßenverkehr auf dem Fahrrad fühlen?
- Hat man bedacht, dass persönliche Mobilität Geld kostet, das von Armut und Ausgrenzung bedrohte ältere Menschen einfach nicht haben?
Ein Oppositionssprecher sprach statt von „gebrochenen Versprechen“ von „Verbrechen“. War das eine sprachliche Entgleisung oder ein aus dem Unterbewusstsein hervordrängende Wahrheit?
Krieg und Frieden
Eine schicksalhafte Fügung ließ zwei Tagesordnungspunkte direkt aufeinander folgen:
- „Schutzanlagen von Anfang an mitdenken – Öffentliche Neubauten wie das AK Altona widerstandsfähig und krisentauglich planen“
- „Friedensforschung stärken – IFSH auf dem Weg zum Leibniz-Institut gezielt unterstützen“
Der Bau von Schutzräumen und Bunkern unter Krankenhäusern weist – wie so vieles andere auch – darauf hin, dass wir uns auf einen bevorstehenden Krieg einstellen müssen. Es stellen sich folgende Fragen:
- Werden die Schutzräume dann tatsächlich der Zivilbevölkerung oder vorrangig dem Militär zur Verfügung stehen? Je nach Quelle reicht die öffentlich genannte Planungsannahme im Bündnisfall bis zu 1.000 Verwundete pro Tag; höhere Werte bis zu 3.000 täglich sind andere Szenarioeinschätzungen.
- Eine ähnliche Frage stellt sich hinsichtlich der medizinischen Versorgung. Die akut-medizinische Versorgung in Deutschland steht bereits heute vielerorts unter erheblichem Druck; ohne erhebliche Erweiterung der Ressourcen würde ein Massenanfall Verwundeter die Regelversorgung spürbar einschränken.
- Es stellt sich weiterhin die Frage, ob die Zivilbevölkerung überhaupt Schutzräume in Krankenhäusern und öffentlichen Gebäuden aufsuchen sollte. Heutige Kriege zeichnen sich – anders als Flächenbombardements im Zweiten Weltkrieg – durch gezielte Schläge durch Raketen und Drohnen gegen strategisch wichtige Ziele aus. Krankenhäuser und öffentliche Gebäude sind völkerrechtlich geschützt, werden in aktuellen Kriegen jedoch gleichwohl getroffen.
Der nächste Tagesordnungspunkt beschäftigte sich mit der Friedensforschung und dem Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH). Das IFSH hat folgende Hauptaufgabengebiete:
- Europäische Friedens- und Sicherheitsordnungen
- Gesellschaftlicher Frieden & Innere Sicherheit
- Rüstungskontrolle & neue Technologien
- Klimawandel & Sicherheit
Schon hieraus ergibt sich, dass Friedensforschung nicht die einzige Aufgabe des Institutes ist. Hellhörig wird man, wenn man die Überschrift der Pressemitteilung vom 2. Juni 2025 liest:
„Europäische Sicherheit braucht mehr als Waffen: Deutschlands führende Friedensforschungsinstitute legen Friedensgutachten 2025 vor.“
Die Waffenlieferungen an die Ukraine werden von den Friedensforschungsinstituten empfohlen.
Quellen:
- https://ifsh.de/file/publication/Friedensgutachten/2025/Pressemitteilung_Friedensgutachten_2025.pdf
- https://friedensgutachten.de/user/pages/02.2025/02.ausgabe/03.stellungnahme/FGA2025_Stellungnahme.pdf
Vielleicht war das Zusammentreffen beider Tagesordnungspunkte doch nicht so schicksalhaft, wie die Überschriften glauben lassen.
Wohnungsnot in Hamburg
Ein Dauerbrenner, dem weder Politik noch Markt Herr werden, stand wieder auf der Tagesordnung. TOP 76 „Wohnungslosigkeit wirksam bekämpfen – Versorgung vordringlich wohnungssuchender Haushalte verbessern“. Die Debatte fokussierte sich auf den sozialen Wohnungsbau.
Eine Diskussion zu alternativen Konzepten oder explodierenden Bau- und Sanierungskosten fehlte.
- Verlust an Sozialwohnungen (Bindungsauslauf): ca. 4.300 (2023) und ca. 4.000 (2024).
- Bestand geförderter Wohnungen (1.1.2024): 79.643.
- Absehbare weitere Verluste: 22.058 Sozialwohnungen mit Bindungsende bis 2028.
Der Neubau von Sozialwohnungen kann solche Verluste niemals ausgleichen.
Daneben stehen auch Normalverdiener vor erheblichen Herausforderungen, eine Wohnung zu finden und zu bezahlen. Bei aktueller Neuvermietung ergeben sich – je nach Marktdatenquelle – für eine 100 m²-Wohnung Warmmieten von etwa 1.555 € bis 2.046 € pro Monat. Wichtig: Solche Mieten sind aus bereits versteuertem Einkommen zu zahlen.
Die Hilf- und Ratlosigkeit der Politik ist nicht nur auf Bundesebene zu beobachten.
Weitere Hinweise zur Hamburgischen Bürgerschaft
Die übrigen Themen der Sitzung können dem offiziellen Protokoll entnommen werden:
Protokolle der Bürgerschaftssitzungen – Hamburgische Bürgerschaft
Wie die Bürgerschaft arbeitet: Die Hamburgische Bürgerschaft bei der Arbeit beobachten – Landesverband Hamburg | dieBasis
Die nächste Plenarsitzung findet am 24. September 2025 statt.
dieBasis wird erneut vor Ort berichten.
Bleiben Sie informiert – besuchen Sie unsere Website für weitere Analysen zur Hamburger Landespolitik.
Autor: Peter Scheller
