Rot-Grün: Was Diskriminierung ist, bestimmen wir

Nach zweijähriger Pause „wegen Corona“ gab es am 29. Juli wieder einen Rot-Grünen CSD-Empfang im Hamburger Rathaus, diesmal unter dem Motto Restart für die Community. Immerhin, Restart, nicht Reset.

Tiefergehende Diskussionen waren bei diesem Format nicht unbedingt zu erwarten, aber ich hoffte, beim Umtrunk nach den Podiumsbeiträgen ein paar Worte mit einigen Abgeordneten wechseln zu können, die zum Teil, wie ich gestehen und inzwischen bedauern muss, auch mit meiner Stimme in die Bürgerschaft eingezogen sind.

Jennifer Jasberg, Fraktionsvorsitzende der Grünen, stellte in ihrer Ansprache die rhetorische Frage, ob man denn schon wieder feiern dürfe. Nicht etwa, weil Menschen in Hamburg durch die Corona-Politik wirtschaftlich oder gesundheitlich ruiniert wurden, sondern weil Krieg in der Ukraine herrscht.

Natürlich bejahte sie dann ihre Frage, denn jetzt wo die Pandemie fast vorbei sei, tue es gut und not, nach zweijähriger Pause mit viel zu wenig direkten Kontakten auch mal wieder zu feiern.

In den weiteren Beiträgen war viel von Vielfalt und Akzeptanz die Rede, die Gleichstellungsenatorin und Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) freute sich, dass wir „endlich einen Queer-Beauftragten“ in der Bundesregierung haben (das ist ein Herr Lehmann, der der Ansicht ist, dass auch ein Arzt das Geschlecht eines Menschen nicht von außen bestimmen könne), und natürlich sei der Kampf um Gleichberechtigung und Selbstbestimmung niemals zu Ende.

So weit, so erwartbar. Da Politiker ja quasi immer im Dienst sind, auch auf Sektempfängen, hatte ich kein allzu schlechtes Gewissen, meinen Gesprächspartnern jeweils die gleichen wohl etwas spaßbremsenden und eher unerwarteten Fragen zu stellen:

Ausgrenzung in Deutschland?

Erstens, wie man denn dazu stehe, dass jemand wie ich sich in 35 Jahren als Schwuler in Deutschland nie so diskriminiert gefühlt hat wie im letzten Jahr als sogenanter Ungeimpfter.

Zweitens, ob und wie man versuchen wolle, mit den Menschen (und Wählern!), die man mit „2G“ bewusst ausgegrenzt habe, irgendwie wieder ins Gespräch zu kommen.

Ich hatte Gelegenheit mit Jennifer Jasberg zu sprechen, ebenso mit Ole Thorben Buschhüter (SPD), Farid Müller (Grüne), Simon Kuchinke und Annkathrin Kammeyer (beide SPD), die Zweite Bürgermeisterin war leider zu sehr mit Presse- und Gruppenfotos beschäftigt.

Um mit dem Positiven anzufangen, niemand wich dem Gespräch aus, sobald klar war, worauf ich hinauswollte, und niemand warf mir das Q-Wort oder andere Kampfbegriffe an den Kopf – das ist ja nach zwei Jahren gezielter Diskursverrohung schon durchaus bemerkenswert.

Inhaltlich bediente man sich der hinlänglich bekannten Phrasen aus dem Satzbaukasten. Die Situation von Homosexuellen und Ungeimpften könne man ja nicht vergleichen, ebensowenig wie Deutschland und Schweden, weil Schweden ja viel dünner besiedelt sei.

Überhaupt sei 2G keine Diskriminierung, denn es diene ja dem Fremdschutz. Ob es jetzt an der diskriminierenden Mehrheit sei zu entscheiden, wann eine Minderheit sich diskriminiert fühlen dürfe, fragte ich. Keine Antwort.

Den Hinweis auf über 20 % „Ungeimpfte“ in Deutschland konterte Farid Müller mit einer Impfquote von „weit über 90 % in Hamburg“ (laut BMG 86,6 %), den Einwand, dass es ja auch nur ca. 5 % Homosexuelle gebe und die Größe einer Minderheit nicht ausschlaggebend sein dürfe, ließ er nicht gelten.

Ole Buschhüter outete sich als Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht und wollte wissen, warum ich denn auf einen rot-grünen Empfang ginge, wenn ich diese Parteien für unwählbar hielte, solange sie sich nicht um irgendeine Form der Aufarbeitung und Versöhnung bemühten.

Jennifer Jasberg verstand das Problem mit der Impfpflicht nicht so ganz, denn wir hätten ja keine allgemeine Impfpflicht bzgl. Corona, und an der allgemeinen Masernimpfpflicht, die auch ihre Tochter betreffe, würde sich ja niemand stören.

Auch Simon Kuchinke und Annkatrin Kammeyer wollten in 2G keine Diskriminierung erkennen, wir seien in Deutschland ja recht gut durch die Pandemie gekommen, sie hätten ähnliche Argumente wie meine auch schon in ihrem Wahlkreis gehört, aber als Politiker habe man eben eine bestimmte politische Position und würde die auch beibehalten. Immerhin schloss sich die Einladung an, die Diskussion an anderer Stelle fortzusetzen.

Fazit

Es geht in diesem Beitrag nicht darum, Minderheiten gegeneinander aufzurechnen oder auszuspielen. dieBasis ist das Team Menschheitsfamilie und respektiert jeden Menschen unabhängig von seiner sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität.

Das Experiment, ob Menschen, die selbst zu einer (früher) diskriminierten Minderheit gehören oder sich für diese einsetzen, dadurch sensibler für die Diskriminierung von anderen werden, hatte an diesem Abend ein eindeutiges Ergebnis: Durch Messen mit zweierlei Maß lässt es sich bequem vermeiden, das eigene Gutmenschentum in Frage zu stellen.

Ich hatte nicht ernsthaft erwartet, von den Abgeordneten unserer Regierungsfraktionen irgendeine Art von Selbstkritik zu hören, aber die Abwesenheit von jeglicher Nachdenklichkeit in der Rückschau auf die zwei „Pandemie“-Jahre und das äußerst dünne Faktenwissen fand ich doch erstaunlich.

Wir werden noch dicke Bretter zu bohren haben.