Plenarsitzung am 8. Oktober 2025

dieBasis hat die erste Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft im Oktober beobachtet. Wir schauen auf das parlamentarische Geschehen aus der Sicht mündiger und kritischer Bürgerinnen und Bürger – und berichten über Vorlagen und Abläufe, die besonders bemerkenswert oder diskussionswürdig erscheinen.
Was auffiel
Die Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft wies darauf hin, dass diese Plenarsitzung von Filmteams aufgenommen werde, um einen neuen „Werbefilm“ – offiziell „Film über die Hamburgische Bürgerschaft“ – aus dem Filmmaterial zu produzieren. Die Präsidentin wies darauf hin, alle Abgeordneten mögen lächeln und der Sitzung aufmerksam folgen sollten.
Diesmal waren auch der Bürgermeister und viele Senatoren zumindest zeitweise anwesend und verkniffen sich – soweit beobachtbar – das Starren auf ihre Smartphones. Hätten sie es getan, würde es im Film wohl nicht besonders positiv wirken.
Der Abgeordnete Robert Risch wurde aus der AfD-Fraktion ausgeschlossen und sitzt nun fraktionslos in der Bürgerschaft.
Der Hamburger Zukunftsentscheid
Das erste Thema der Aktuellen Stunde war: „Wir holen die SPD von der Klimabremse! Mit dem Zukunftsentscheid dem Senat Beine machen.“
Am Sonntag, den 12. Oktober 2025, stimmen die wahlberechtigten Bürger im Volksentscheid „Hamburger Zukunftsentscheid“ darüber ab, ob die Stadt gesetzlich auf Klimaneutralität bis 2040 verpflichtet wird – inklusive jährlicher CO₂-Budgets, Monitoring und einer sozialverträglichen Ausgestaltung. Das Ergebnis ist bindend, wenn eine Mehrheit zustimmt und mindestens 20 % der Wahlberechtigten mit „Ja“ stimmen.
Es wurden die allseitig bekannten Argumente ausgetauscht. Das Vorziehen des Ziels der Klimaneutralität auf 2040 statt 2045 einschließlich der Definition jährlicher Zwischenziele soll Planbarkeit und Transparenz für Bürger und Wirtschaft schaffen. Es gehe auch um die Signalwirkung für ambitionierten Klimaschutz in einer Großstadt.
Als Gegenargumente wurden neben der tatsächlichen Machbarkeit „Mietexplosion“, „Neubaukollaps“ und der „Abwanderung von Arbeitsplätzen“ angeführt.
Ein anderer Aspekt klang nur zwischen den Zeilen an. Es scheint, dass sich Senat und Bürgerschaft in der Frage positiv positioniert haben, wobei das wohl als „ausgewogene Informationsdarstellung“ durch Regierung, Parlament und Verwaltung dargestellt würde. Aber genau dies müsste mal analysiert werden.
Es gibt weltweit Urteile, in denen oberste Gerichte einen Einsatz öffentlicher Gelder für eine einseitige Unterstützung in Abstimmungen untersagten; hier zwei Beispiele:
- Der Supreme Court Kaliforniens in der Rechtssache Stanson v. Mott im Jahr 1976 untersagt Behörden, öffentliche Mittel für parteiergreifende Wahlwerbung bei Abstimmungen einzusetzen. Das wurde 2009 in der Rechtssache Vargas v. City of Salinas präzisiert.
- Der Supreme Court Irlands in der Rechtssache McKenna (No. 2) verbot 1995 dem Staat, einseitige Werbung bei Referenden zu finanzieren. Bestätigt wurde dies 2012 in der Rechtssache McCrystal.
Die Bürgerschaft beschäftigt sich regelmäßig mit der Wehrhaftigkeit Deutschlands. Eine Debatte, wie Aufrüstung und Waffenlieferungen mit Zielen der Klimaneutralität in Übereinstimmung zu bringen wären, fehlt vollkommen.
Interessant ist ein Bericht von Finance Watch. In Brüssel wird diskutiert, ob und wie Verteidigungs- und Rüstungsaktivitäten in die EU-Taxonomie (das amtliche Nachhaltigkeits-Klassifikationssystem) passen. Die Autoren warnen vor Greenwashing – also dem Schönreden von Nachhaltigkeit durch irreführende Labels – und speziell vor War-washing, wenn Waffen und Verteidigung als „nachhaltig“ verkauft werden, obwohl Ziel oder Wirkung nicht dazu passen.
Quelle:
„Why defence spending shouldn’t be labelled sustainable“ vom 29.08.2025 (https://www.finance-watch.org/blog/why-defence-spending-shouldnt-be-labelled-sustainable/)
Fehlplanung und Verschwendung
Der Titel des Tagesordnungspunkts 43 behandelt auch ein immer wiederkehrendes Problem in Hamburg.
„Aktenvorlage zum „Haus der Erde“ – Verantwortlichkeiten für Baudesaster und massive Kostenexplosion im Mieter-Vermieter-Modell aufklären.“
Es geht um Zeit- und Budgetüberschreitungen bei der Durchführung öffentlicher Großprojekte, die in Hamburg eine lange Historie haben.
Das „Haus der Erde“ ist ein Neubau der Universität Hamburg am Geomatikum, der als zentrales Lehr- und Forschungszentrum für Geo- und Klimawissenschaften mehrere Institute unter einem Dach bündelt.
Die ursprünglich für 2015/2016 geplante Fertigstellung verzögerte sich mehrfach. Ein millionenschwerer Wasserschaden im Sommer 2024 warf auch den für Anfang 2025 vorgesehenen Übergabetermin zurück. Die Kosten stiegen von anfänglich ca. 177 Mio. € über 303 Mio. € (2020) auf offiziell 373 Mio. € (Jan. 2024) und werden inzwischen teils mit über 400 Mio. € beziffert.
Die Kritik richtet sich unter anderem gegen Planungsfehler der Haustechnik, wiederholte Vertragskündigungen und mangelhafte Projektsteuerung. Der Bund der Steuerzahler führt das Vorhaben als Negativbeispiel („Bauruine“) mit „explodierenden Kosten“, nennt mindestens 425 Mio. € und rund 1 Mio. € monatliche Baustellenbetriebskosten.
Quelle:
„Haus der Erde“ – Hamburgs teuerste Bauruine auf Kosten der Steuerzahler (https://www.steuerzahler.de/presse/detail/haus-der-erde-hamburgs-teuerste-bauruine-auf-kosten-der-steuerzahler/)
Der Antrag fordert eine Akteneinsicht, die auch mit Mehrheit angenommen wurde. Der Vorgang soll aufgearbeitet werden. Über eine Heranziehung der Verantwortlichen wurde nicht ernsthaft diskutiert.
Wir werden darüber berichten, was passieren soll, wenn die Akteneinsicht erfolgt ist.
Die WHO als Prädikatsverleiher
Es ging in Tagesordnungspunkt 39 um die Lebensqualität der älteren Bevölkerung in Hamburg.
„Umsetzung des Aktionsplans „Age-friendly City – für ein altersfreundliches Hamburg“ verlässlich begleiten, Bericht etablieren“
Geplant ist ein Monitoring zur Umsetzung des 2024 beschlossenen Aktionsplans mit 105 Maßnahmen. Das Monitoring soll ab 2026 alle drei Jahre unter der Beteiligung des Landesseniorenbeirats erfolgen; ein Zwischenbericht soll bis 31.01.2027 vorgelegt werden.
Kritikpunkte sind unter anderem trotz Kostensteigerungen stagnierende Pauschalförderungen für Seniorentreffs, eine intransparente Verteilung von Leih-Tablets, weitere ungeklärte Punkte wie Mietkosten und Umsetzungsstand bei Digitalisierung und Barrierefreiheit sowie Filialschließungen von Finanzinstituten.
„Age-friendly City“ ist ein Rahmenkonzept der World Health Organization (WHO) und Hamburg ist Mitglied des WHO-Netzwerks. Ein Redner sprach auch von einer „WHO-Plakette“.
Olympiabewerbung Hamburgs
In einem Tagesordnungspunkt ging es um eine Nachbewilligung des Haushaltsplans 2025/2026 hinsichtlich der „… Bewerbung des Deutschen Olympischen Sportbundes um die Ausrichtung der Olympischen und Paralympischen Sommerspiele mit der Freien und Hansestadt Hamburg als Austragungsort.“
Das Referendum soll am 31. Mai 2026 stattfinden.
Sollte Hamburg den Zuschlag bekommen, lässt das wenig Gutes erwarten. Die Spitzenpolitik in Hamburg hat eine lange Historie von Fehlplanungen und enormen Budgetüberschreitungen bei Großprojekten.
Wenig ermutigend ist auch ein Bericht des französischen Rechnungshofes (Cour des comptes). In frühen Regierungsangaben 2017 war noch von etwas über 1,5 Mrd. € öffentlichen Mitteln die Rede. Der Rechnungshof hat am 29. September 2025 seinen Parlamentsbericht vorgelegt. Danach werden die öffentlichen Ausgaben für Paris 2024 nun auf 6,65 Mrd. € beziffert; davon 3,02 Mrd. € für die Durchführung und Organisation sowie 3,63 Mrd. € für Infrastruktur.
Quelle:
https://www.ccomptes.fr/sites/default/files/2025-09/20240929-rapport-JOP-2024_0.pdf
Igel vor dem Aussterben in Hamburg
Es ging in Tagesordnungspunkt 40 um den Hamburger Igel.
„Igel in Hamburger Parks und Gärten schützen“
Die Regierungsfraktionen wollen mit ihrem Bürgerschaftsantrag den Igelschutz stärken. Es soll Informationskampagnen, Schulungen für die städtische Grünpflege und mehr Rückzugsräume in Parks geben.
Das Problem ist, dass Igel nachtaktiv sind und von Mährobotern verletzt werden. Deshalb gibt es seit dem 24. September 2025 ein stadtweites Nachtfahrverbot für Mähroboter: Der Betrieb ist nur von 30 Minuten nach Sonnenaufgang bis 30 Minuten vor Sonnenuntergang zulässig; Ausnahmen gelten für Gründächer und igelsicher eingefriedete Sportanlagen.
Positiv bewertet wurde der LOOKI e.V. und seine Wildtierstation in Hamburg-Bergedorf.
Weitere Hinweise zur Hamburgischen Bürgerschaft
Die übrigen Themen der Sitzung können dem offiziellen Protokoll entnommen werden:
Protokolle der Bürgerschaftssitzungen – Hamburgische Bürgerschaft
Wie die Bürgerschaft arbeitet: Die Hamburgische Bürgerschaft bei der Arbeit beobachten
Die nächste Plenarsitzung findet am 12. November 2025 statt.
dieBasis wird erneut vor Ort berichten.
Bleiben Sie informiert – besuchen Sie unsere Website für weitere Analysen zur Hamburger Landespolitik.
Autor: Peter Scheller

Ein sehr guter Artikel, vielen Dank!
Ein „Werbefilm“ für die Bürgerschaft? Ich frage mich welcher tiefere Sinn sich dahinter verbirgt. Auf die Zusammenstellung der Bürgerschaft nach der nächsten Wahl wird es keinen Einfluss haben, also warum werden hier Steuergelder verschwendet? Weil es in Hamburg möglich ist? Oder geht es darum eine der vielen Agenturen zu retten? Ein japanisches Sprichwort lautet: „Wenn etwas gut ist muss dafür nicht geworben werden.“
„Die Präsidentin wies darauf hin, alle Abgeordneten mögen lächeln und der Sitzung aufmerksam folgen“
(Ich werde niemals die Bilder vom schlafenden Karl Lauterbach vergessen, die dankenswerterweise veröffentlicht wurden.)
Diesen Film können sie hinterher maximal glaubwürdig in Schulen bis zum 7. Schuljahr zeigen,- sie versuchen immer wieder das Volk zu täuschen.
Dankeschön für den gut geschriebenen Bericht. Weiterso 😃. Seit Monaten macht die Stadt Werbung für ein vorzeitiges Erreichen der Klimaziele und dem bedingungslosen Grundeinkommen. Schade, dass bei dieser einseitigen Flutung ein Diskurs kaum zustande gekommen ist.
Danke dass Ihr das so fundiert durchzieht – uns auch der Artikel an sich ist nach meinem Empfinden wirklich klasse gemacht!
Moin lieber Peter, Danke für den Bericht und die Beobachtung der Bürgerschaft. Eine gute Aktion und sehr interessant 👍