Ein Schutzmann im besten Sinne

Beherzt und redegewandt setzt sich der ehemalige Polizist Wolf Hoffmann für Deeskalation ein.

Ich erlebte Wolf Hoffmann zum ersten Mal, als er bei einem Lichterspaziergang an einem dunklen, trüben Abend im Dezember 2020 eine höchst aufgeregte Situation befriedete. Der Spaziergang war eine Aktion von Kritikern der Corona-Maßnahmen, Gegendemonstranten im bekannten schwarzen Outfit begleiteten sie mit den leider üblich gewordenen und lautstark geschrienen Beleidigungen, die sie im Marschtakt vortrugen.

Die Lichterspaziergänger, die nichts weiter als Transparenz und Angemessenheit der politischen Maßnahmen forderten, fühlten sich angegriffen und waren empört. Wolf animierte sie dazu, die Mittel der Gegendemonstranten mit ihren eigenen Botschaften aufzugreifen. So skandierten die Lichterspaziergänger nun ebenfalls im Takt „Frieden, Freiheit“. Die Gegendemonstranten wurden damit Teil eines Chores. Aus dem bekannten „Frieden, Freiheit, Demokratie“ wurde nun ein „Frieden, Freiheit, halt dir Fresse“, dessen Absurdität schließlich auch dem schwarzen Block nicht verborgen blieb und zum friedlichen Abzug der Gegendemonstranten führte. 

Die anwesende Polizei schritt nicht ein.

Wer ist dieser kernige Mann, der auf vielen Demonstrationen von sich selbst als „eurem Schutzmann“ spricht und sich für einen Dialog zwischen allen Beteiligten einsetzt? Einige Zeit und einige Demonstrationen später sitze ich mit Wolf beim Kaffee, um über die ungewöhnliche Art der Deeskalation zu sprechen.

Wolf kommt ursprünglich aus Schleswig-Holstein, er begann seine Polizei-Karriere in Hamburg auf dem Kiez und war später in Bramfeld tätig.

Für ihn sei es immer wichtig gewesen, „dass die Menschen miteinander sprechen, sich dabei in die Augen sehen und die Bedürfnisse des anderen anerkennen“. Weit vor der Etablierung der „Gewaltfreien Kommunikation“ entwickelte er seine besondere Art mit Menschen im Rahmen der Verbrechensbekämpfung umzugehen. Dabei bedurfte es oft einer gewissen Sportlichkeit, schließlich mussten er und seine Kollegen zuerst die „Bösewichte“ fangen. Er sagt von sich, dass er die Leute in der Vernehmung, oder oft schon an Ort und Stelle „in den Frieden redete.“ Es ginge darum, in akut brenzligen Situationen erst einmal eine konstruktive Lösung herbeizuführen, und nicht schon auf die Probleme einzugehen, die vielleicht hinter der Tat stehen.

Wolf absolvierte fast 20 Jahre Schutzmannsarbeit im Schichtendienst – Fußstreife, Peterwagen, Motorrad, Zivilfahndung – und wurde schließlich polizeilicher Konflikttrainer. Neben seiner langen Einsatzerfahrung war er aktiver Kampfsportler (Boxen, Jiujitsu) und Marathonläufer, beste Voraussetzungen, um Mitte der 19080er Jahre als Sportlehrer an die Landespolizeischule berufen zu werden.

Dort entwickelte er die “Praxis- und Einsatzorientierte Selbstverteidigung”, das sogenannte ETR-Programm, für die Hamburger Polizei. Von ihm persönlich ausgebildete Multiplikatoren halfen ihm, diese Aus- und Fortbildung fest zu etablieren.

Parallel dazu trainierte Wolf das Mobile Einsatzkommando (MEK) sowie andere Spezialeinheiten. Darüber hinaus gab er seine Erfahrungen als Dozent an der Landespolizeischule und in der Kommissar-Ausbildung weiter.

Mittlerweile ist Wolf pensioniert, doch seinem Lebensmotto der Deeskalation von Konflikten bleibt er gerade in dieser Zeit der erneuten gesellschaftlichen Spaltung treu. Es habe ihn immer interessiert zu erfahren, wie Konflikte friedlich gelöst werden können, damit nicht Hass und Gewalt gedeihen und damit noch weitere Konflikte entstehen.

In den letzten Monaten war Wolf oft zur Stelle, wenn friedliche Demonstranten, mitunter auch emotional erregt, mit der Staatsmacht aneinandergeraten. Die Konfliktthemen zwischen beiden Seiten waren meist die Forderungen nach Abstandhalten, Maskentragen, und damit verbunden, Drohungen, die Versammlung aufzulösen. „Unser Schutzmann“ stellte sich vor die „Tatverdächtigten“, sprach aber auch verständnisvoll und wertschätzend mit seinen Berufskollegen. Sein Anliegen war es immer, den Druck herauszunehmen und gleichzeitig die Verhältnismäßigkeit von polizeilichen Maßnahmen ruhig und sachlich einzufordern. So schuf er immer wieder Momente der Kooperation und des Ausgleichs, Eskalationen wurden vermieden.

In aufgeheizten politischen Situationen entsenden Parteien für einen objektiven Blick auf das Geschehen oftmals sogenannte „Parlamentarische Beobachter“. Das ist in vielen Krisengebieten Praxis. Gäbe es einen solchen Posten zur Deeskalation von Demonstrations-Konflikten für pensionierte Polizisten, würde ich sofort Wolf vorschlagen. Wie viele kritische Situationen und tätliche Übergriffe könnten wir mit Menschen wie ihm vermeiden und dennoch das Recht auf freie Meinungsäußerung in einer freien und offenen Gesellschaft garantieren?

Während des langen Gesprächs in seinem Haus erzählte er von den vielen Etappen seines polizeilichen Werdegangs, bei denen er die großen politischen Auseinandersetzungen in unserer Gesellschaft in den letzten 50 Jahren miterlebt hat. Dazu zählten die Studentenrevolution der 68er, der heiße Herbst der RAF, die Anti-AKW-Bewegung, die Proteste gegen die Pershing 2 und Cruisemissile Stationierung mit großen Friedensdemonstrationen, später der Golfkrieg, die Occupy-Bewegung und schließlich die Proteste gegen G20.

Gemeinsamer Nenner der meisten Demonstrationen sei der Wunsch nach einer gesellschaftlichen Veränderung, für eine sozialere und gerechtere Welt, die frei von Unterdrückung, Krieg und Völkermord ist. Der Schutzmann Wolf Hoffmann steht auch heute noch hinter dieser Hoffnung und unterstützt täglich unerschrocken, redegewandt und mit beeindruckender Energie den offenen Diskurs, den es braucht, um Veränderungen aus der Mitte der Gesellschaft zu bewirken. Mit seinem ganzen Wesen vermittelt Wolf Sicherheit und Vertrauen und er macht uns Mut, auch in angespannten Situationen immer wieder in den Dialog zu gehen.

Text Astrid Kießling

Bild Michaela Kaiser