Hamburg verkündet stolz in Artikel 50 seiner Verfassung, dass es eine Volksgesetzgebung gibt. Ein Vergleich mit der direkten Demokratie der Schweizer Eidgenossenschaft zeigt, dass die Bürger der Hansestadt defacto an der Gesetzgebung der Hansestadt nicht unmittelbar beteiligt werden. Schon ein allgemeiner Vergleich beider Modelle zeigt, dass die Hürden zur direkten Beteiligung der Hamburger Bürger so hoch sind, dass sie jede direkte Beteiligung an politischen Entscheidungen erstickt.
Hürde des Verfahrens
Das Hamburger System fordert ein zwei- und in gewissen Fällen auch ein dreistufiges Verfahren. Die zwei Stufen sind die Volksinitiative und das Volksbegehren. Sofern die Hamburger Bürgerschaft ein durch Volksabstimmung beschlossenes Gesetz aufhebt oder ändert, ist die Beantragung eines weiteren Volksentscheides notwendig (Volksentscheid). Information zum dreistufigen Verfahren findest Du hier.
In der Schweiz führt eine Volksinitiative oder ein fakultatives Referendum direkt zu einem Volksentscheid. Informationen zur direkten Demokratie der Schweiz hier.
In Hamburg müssen also mindestens zwei und manchmal auch dreimal Stimmen gesammelt werden, um der Stimme des Volkes Geltung zu verschaffen. In der Schweiz müssen Unterschriften nur einmal gesammelt werden.
Hürde der abzugebenden Stimmen
In Hamburg benötigt man für eine Volksinitiative 10.000 Stimmen, für ein Volksbegehren 5% der wahlberechtigten Bevölkerung (zurzeit rund 66.000 Stimmen) und, soweit ein weiterer Volksentscheid verlangt wird, 2,5% der wahlberechtigten Bevölkerung. Im Zweifel müssen 109.000 Stimmen gesammelt werden.
In der Schweiz müssen für eine Volksinitiative 100.000 Stimmen und für ein fakultatives Referendum 50.000 Stimmen gesammelt werden. Die wahlberechtigte Bevölkerung der Schweiz beträgt rund 5.5 Mio. Eine Volksinitiative benötigt also die Stimmen von 1,8% der wahlberechtigten Bevölkerung, ein fakultatives Referendum 0,9%.
Hürde für das Sammeln der Unterschriften
In Hamburg hat eine Volksinitiative 3 Wochen Zeit, um momentan rund 66.000 Stimmen zu sammeln.
In der Schweiz haben die Initiativen 18 Monate Zeit für eine Volksinitiative und 100 Tage nach Veröffentlichung eines Gesetzes für ein fakultatives Referendum. Die „Gefahr“ eines fakultativen Referendums führt schon im Vorlauf dazu, dass das Parlament keine Gesetze beschließt, die auf einen großen Widerstand in der Bevölkerung stoßen wird.
Hürde der Information der Bürger
In Hamburg informiert die Verwaltung durch Veröffentlichung im Hamburger Amtsblatt. Bei Volksbegehren von großer Bedeutung erhalten die Haushalte Informationsbroschüren. Auf der Website Volksabstimmungen 1 sind laufende Volksbegehren aufgeführt. Dort werden aber nur die Formalien dargestellt; Inhalte bleiben unerwähnt.
In der Schweiz erhalten die stimmberechtigten Bürger drei bis vier Wochen vor der Abstimmung per Post zusammen mit den Wahlunterlagen umfangreiche Informationen über das Pro und Kontra zum Thema. Gleichzeitig werden auf offiziellen Websites umfangreiche Informationen zum jeweiligen Sachthema veröffentlicht.
Hürden zum Inhalt von Volksbegehren
In Hamburg kann nicht über Fragen abgestimmt werden, die Themen der Hamburger Finanzen betreffen. Gleichzeitig darf nicht über Bundesratsinitiativen abgestimmt werden, sodass der Weg nach Berlin abschnitten wird.
In der Schweiz kann über alle Sachfragen abgestimmt werden. Zudem müssen zwingend Referenden abgehalten werden, wenn die Verfassung geändert werden oder ob die Schweiz gewissen internationalen Organisationen beitreten soll.
Bindung eines Volksbegehrens
Der Senat und die Bürgerschaft ist an einen Bürgerentscheid gebunden. Allerdings kann die Bürgerschaft einen durch einen Bürgerbescheid ergangenes Gesetz innerhalb von drei Monaten aufheben oder ändern. Dann müssen wieder Unterschriften gesammelt werden, um eine Abstimmung über das Änderungsgesetz herbeizuführen.
In der Schweiz ist die Regierung direkt an eine Entscheidung in einer Bürgerinitiative oder einem Referendum gebunden.
Fazit
Seit Aufnahme der Volksdemokratie in die Verfassung Hamburgs im Jahr 1996 sind erst sieben Bürgerentscheide zustande gekommen. Das allein zeigt, dass eine aktive und direkte Beteiligung der Bevölkerung offensichtlich von den etablierten Parteien nicht gewollt ist. Der Aufruf von Willy Brandt aus dem Jahr 1969 „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ ist einfach verhallt. In mehr als einem halben Jahrhundert haben die etablierten Parteien keine Maßnahme ergriffen, die Bevölkerung direkt an politischen Entscheidungen zu beteiligen.
Autor: Peter Scheller
„Volksdemokratie“ ist von der Hamburger Bürgerschaft und vor allem dem Senat ganz offensichtlich nicht gewünscht. Die jeweils getroffenen Entscheidungen sprechen für sich. Erfolgreiche Volksbegehren haben in der Regel finanzkräftige Sponsoren hinter sich, die natürlich vor allem eigene Interessen verfolgen.