Dem Wortsinn auf der Spur
-Eine Etymologische Betrachtung-
Hört man den Begriff Bildung, so ist dieser eher positiv konnotiert. Erinnert er doch an das angelsächsische to build, also etwas aufbauen, etwas schaffen. Da die sprachliche Verwandtschaft von Deutsch und Englisch sehr eng ist, ist diese Herleitung wohl zutreffend.
Denkt man dann ein zweites Mal über den eigentlichen Wortsinn nach, etwas bauen, etwas erschaffen und dies in Anwendung auf junge Menschen bezogen, so scheint der Kontext nicht mehr ausschließlich positiv, denn es steckt eine passive Komponente darin. Wer erbaut denn hier junge Menschen, ist die Frage.
Noch eindeutiger ist es beim Begriff Erziehung. Da sollte eigentlich jedem klar werden, dass es nichts Gutes bedeuten kann, denn wie könnte etwas gut werden, an dem man zieht. Und in der Regel zieht man etwas, indem man es hinter sich herzieht.
Nun habe ich vor Kurzem gelernt, dass das Wort Kindererziehung erstmalig um das Jahr 1600 auftaucht, und zwar in England und Frankreich. Weder Ort noch zeitlicher Zusammenhang verwundern dabei. Sind wir doch in der Zeit nach der Reformation, die das katholische Monopol, und hier auch besonders das Bildungsmonopol, welches sich bis dahin auf die Kloster- und Ordensschulen beschränkte, in Frage stellte.
In England sind wir in jener Zeit auf dem Weg zum Puritanismus und somit zu den üblen Entwicklungen des Kapitalismus (nach der Gründung der ersten Zentralbanken, wie der Bank of Amsterdam und der Bank of England), der einen bestimmten stringenten, anpassungs- und leidensfähigen Menschen braucht. In Frankreich haben wir das sterbende System des Absolutismus, das dringend neue Wege sucht, um fortzubestehen.
Jene Wege scheinen in der Transformation des Menschen- und Weltbildes gefunden worden zu sein; wofür dann Bildung und Erziehung ins Spiel kommen.
Also schauen wir nach der Etymologie jener Begriffe.
Dafür soll der Blick ins Englische und ins Italienische, letzteres als ein Beispiel für eine romanische Sprache, dienen.
Am Ende finden wir uns im Lateinischen, der Mutter der europäischen Sprachen, wieder.
Schaut man auf erstere beide Sprachen (engl./ital.) so scheint es im Wesentlichen auf den Begriff education/l‘educatione hinauszulaufen.
Worin sich natürlich das lateinische ducere, führen, verbirgt. Mit dem Präfix e versehen, heißt es so etwas wie herausziehen bzw. hinter sich herziehen.
Interessant ist auch, dass hier der dualistische Sprachgebrauch wie im Deutschen, Bildung und Erziehung, weitgehend entfällt. Somit haben wir hier eine Besonderheit des Deutschen, mit der man nicht wirklich etwas anfangen kann.
In der Regel wird mit Erziehung eher die vorschulische Formung der Menschen gemeint. Im Wesentlichen sind die beiden Begriffe aber redundant.
Es gibt aber doch auch quasi synonyme Begriffe in den anderen Sprachen, die im speziellen Kontext Anwendung finden, so in beiden Sprachen, formation/la formatione, wo man auch offenkundig Gleichmacherei herauserkennen kann; ebenso bei, instruction/l’istruzione, was man als Befehl übersetzen würde.
Im Italienischen gibt es noch das schöne Wort addestramento, wo destra (rechts) mit jenem Präfix ad vorkommt, was dann so viel heißen sollte, wie auf den rechten Weg bringen; wird gerne für Hunde angewendet.
Wie dem auch sei, in all diesen Begriffen steckt eine problematische Bedeutungskomponente, die einer freiheitlichen Entwicklung junger Menschen entgegensteht. Es ist anzunehmen, dass diese Begrifflichkeit, auch wenn sie für uns heute oft bedeutungsfrei scheint, einst nicht grundlos gewählt wurde; und so letztendlich den Kern dieser Art von Bildung und Erziehung als Schwarze Pädagogik oder Abrichtung offenbar macht.
Übrigens ließe sich diese Liste noch eine Weile fortsetzen, z.B. über das Wort Training, welches wir aus dem Englischen zu kennen glauben, aber in Wirklichkeit über das Altfranzösische aus dem Latein kam, und wiederum nichts anderes bedeutet als, abrichten, zureiten, schleppen etc.
Daraus wurde dann neuenglisch the Train, womit sich der Kreis zum Deutschen, der Zug (Erziehung) schließt, d.h. auf dem richtigen Weg bringen und bleiben.
Genau so kann man sich das Wort Pädagogik ansehen, es stammt aus dem Altgriechischen, paidagogia, und meint führen und unterweisen. Spätestens da ist zu bemerken, dass es sich immer um das gleiche Narrativ handelt.
Am deutlichsten wird dann die Argumentation beim Begriff Unterricht; etwas nach unten richten, d.h. es soll etwas von oben nach unten in die richtige Form gebracht werden. Was wiederum bedeutet, dass man oben weiß, was Unten zu tun hat.
All diese Beispiele zeigen, wie hoch manipulativ Sprache ist, denn wir denken in Sprache; auch da uns der emotionale Teil, eben über jene Mechanismen, abtrainiert wurde; und das nicht erst seit heute, sondern seit Jahrhunderten.
Bei in dieser Weise trainierten Menschen verwundert es nicht, dass sie glauben, durch das Tragen einer Girlande im Gesicht, die Evolution ausbremsen zu können.
Anstelle von Bildung und Erziehung zu sprechen, sollte man eher Begriffe wie Entwicklung (auspacken, entfalten) oder Lernen, was ursprünglich von leisten, schnüffeln bzw. einer Spur nachgehen, abstammt und somit einen eigenen, aktiven Prozess meint, verwenden.
Gerd Raths Hamburg, im Januar 2023