Die Geschichte der direkten Demokratie in Hamburg

Hamburg nennt sich stolz die Freie und Hansestadt. Das bedeutet im historischen Kontext aber nicht, dass alle Menschen in Hamburg an politischen Entscheidungen beteiligt waren. Hamburg hatte sich schon relativ frühzeitig vom direkten Herrschaftsanspruch aristokratischer oder klerikaler Alleinherrscher gelöst. Dies war, wie in anderen Hansestädten auch, dem für die damalige Zeit enormen Reichtum seiner Kaufleute zu verdanken.

Regiert wurde die Hansestadt durch den Rat, der sich aus Mitgliedern der Patrizier- und Kaufmannsfamilien zusammensetze. Daneben gab es zumindest seit 1410 eine Bürgerschaft, in denen die Hamburger Grundbesitzer vertreten waren.

Im Jahr 1860 gab sich Hamburg erstmals eine Verfassung, die auch anderen Bürgern ein beschränktes Mitwirkungsrecht gab und den Senat als regierendes Gremium installierte. Bürger mit einem gewissen Mindesteinkommen konnten ebenfalls mitwählen. Insgesamt waren dadurch aber nur rund 5% der männlichen Bevölkerung Hamburgs wahlberechtigt. Gleichzeitig behielten die Grundbesitzer garantierte Sitze in der Bürgerschaft. Im Ergebnis blieb es dabei, dass eine großbürgerliche Elite weiterhin die Politik Hamburgs bestimmte.

Ein allgemeines Wahlrecht gab es in Hamburg ab 1919. Die Verfassung aus dem Jahr 1921 sah auch Volksabstimmungen vor. Bis zum Jahr 1933 hat es in Hamburg aber keine einzige Volksabstimmung gegeben.

Im Jahr 1952 gab sich Hamburg eine neue Verfassung, die vom Grundsatz her bis heute Gültigkeit hat. Diese sahen aber keine Volksabstimmungen oder Bürgerbegehen vor. Erst 1996 wurden solche in die Hamburger Satzung aufgenommen. Nach Artikel 48 Hamburger Verfassung werden Gesetzesvorlagen durch den Senat, die Bürgerschaft oder Volksbegehren eingebracht. Die Gesetze werden von der Bürgerschaft oder durch Volksentscheid beschlossen. Hieraus könnte man den Eindruck gewinnen, dass Entscheidungen der Volksvertreter und des Volkes selbst gleichberechtigt wären.

Artikel 50 der Hamburger Verfassung und das Hamburgisches Gesetz über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (Volksabstimmungsgesetz – VAbstG) sehen aber erheblich rechtliche und administrative Hürden vor.

Eine Analyse der Hamburger Gesetzgebung in Hamburg zeigt ein erstaunliches Missverhältnis zwischen Entscheidungen durch die Bürgerschaft und Volksentscheidungen. Von 1996 bis Januar 2024 gab es 68 Volksinitiativen, bis September 2024 16 Volksbegehren und bis zum 18. Dezember 2013 genau 7 Volksentscheide. Die Hamburger Bürgerschaft entscheidet jedes Jahr über 30 bis 50 Gesetze. Gehen wir von 40 Entscheidungen der Bürgerschaft im Durchschnitt pro Jahr aus, hat das Hamburger Volk ungefähr in 0,65% aller Gesetzesinitiativen ein Entscheidungsrecht gehabt. Von einer Ausgewogenheit der Gesetzgebungskompetenz von Parteien und dem Volk kann also keine Rede sein.

Artikel 50 der Hamburger Verfassung trägt die vielversprechende Überschrift „Volksgesetzgebung“. Es klingt aber wie reiner Hohn, wenn man sich die reinen Zahlen anschaut. Im Ergebnis werden die Hürden für Volksentscheide so hoch gehängt, dass eine funktionierende Beteiligung des Volkes am politischen Prozess nicht stattfindet. Es bleib also dabei. Das Wahlvolk darf alle fünf Jahren Kreuze auf einem Wahlzettel machen. Für diesen Zeitraum haben die Parteien und ihre Vertreter jede Möglichkeit, Wahlversprechen ohne weitere Konsequenzen zu brechen und Entscheidungen zu treffen, die sich jeder weiteren Kontrolle durch das Volk entziehen.

Autor: Peter Scheller

11 Kommentare

  1. Ich beobachte das Thema der Direkten Demokratie (DD).
    Meine Erinnerung über DD in Hamburg betrifft den Verkauf für 1 € der staatlichen Krankenhäusern in Hamburg. Der Volksentscheid wurde gewonnen, aber dann wurde das Ergebnis als unverbindlich von Hamburger Gerichten abgetan. So läuft es hier.
    Wichtige Links:
    https://abstimmung21.de/
    https://www.mehr-demokratie.de/mehr-wissen/volksbegehrensbericht-2024
    Démocratie ! https://www.youtube.com/watch?v=JkbajWgdfcY
    HK kennt ihr bestimmt von dem Welthit HK – Danser encore

  2. Das Wahlrecht für die Hamburger Bürgerschaft ist eine Alibifunktion und hat mit demokratischen Entscheidungen der Bürger wenig zu tun. Die Erarbeitung von politischen Lösungen obliegt den Abgeordneten der Bürgerschaft. Dafür werden sie vom Bürger bezahlt.
    Die Entscheidung über erarbeitete Lösungen sollte final den Bürgern obliegen. Dafür ist ein Konstrukt erforderlich, um in Hamburg die Volksgesetzgebung zu leben. Das ist von der Bürgerschaft nicht gewollt.

  3. Hallo Peter, vielen Dank für diesen sehr interessanten Artikel. Wieder was dazu gelernt! Warum werden solche Themen eigentlich nicht in der Schule behandelt? Ich zumindest hatte sowas nicht in meiner Schulzeit… ich wusste lange Zeit nicht mal, dass es eine Hamburger Verfassung gibt.

  4. Sehr schöner Artikel, Peter!
    Wir sprachen am Basis Stand beim Winterhuder Stadt fest darüber, speziell über Euer Unterschriften- Sammeln zum Nicht- Gendern und die Hürden (ein paar Wochen, Sommerferienzeit)

    Ich stelle mal die Behauptung in den Raum, dass die Handlungsreisenden in Bürgerschaft/Senat null Interesse haben, dass derartige Volksbegehren stattfinden. Und primär vermutlich deshalb, weil es Arbeit macht. es verdient sich zu leicht viel Geld in der Politik. Und es ist fast unmöglich den durch Wahl erlangten Status zu verlieren, ein Leistungsprinzip existiert nämlich in der Politik nicht. Wohlfühloase Senat/Bürgerschaft!

  5. Es ist Aufgabe der dieBasis, im ersten Schritt zumindest ein Gleichgewicht zwischen repräsentativer und direkter Demokratie herzustellen.

  6. Wenn die Waage wirklich so bestückt ist wie auf dem Bild, dann kippt sie zum Ratsherrn.
    Was können ein paar kleine graue im Alltag gefangene Menschlein schon gegen den Rat nebst zugehöriger Staatsmacht anstellen

  7. Hallo Ingo,

    vollkommen richtig, das System muss erklärt werden. Es wird hierzu eine Artikelserie geben. Da werden dann u.a. folgende Themen abgehandelt:

    – 10 Fragen und Antworten zur Hamburger Volksgesetzgebung
    – Darstellung des Schweizer Modells der direkten Demokratie
    – Vergleich des Hamburger und Schweizer Systems

    Zur “Sachlichkeit”: Dies ist nicht Wikipedia sondern der Blog einer politischen Partei. Über die Hamburger Volksdemokratie kann man in Wikipedia einige wesentliche Hinweise finden, die sich mit diesen Aussagen decken (https://de.wikipedia.org/wiki/Volksgesetzgebung_in_Hamburg).

  8. Mich als Nicht-Hamburger würde dennoch interessieren, wie denn die erwähnten rechtlichen und administrativen Hürden aussehen bzw. ausgeprägt sind. Der Artikel fängt m.E. gut und sachlich an, schweift dann aber mehr und mehr in „Stimmungsmache“ ab, indem Statistiken ohne Quellen aufgeführt werden, die jemanden, der nicht hinterfragt, dazu veranlassen das System als solches anzuzweifeln. Mehr Sachlichkeit wäre seriöser und würde sicherlich entsprechend besser auch bei „Gegnern“ wirken.

  9. …dann wird es Zeit, dass “das Wahlvolk” mal Leute in die Bürgerschaft hineinbringt, die gewillt sind, diese Diskrepanz aufzulösen und deren klares Vorhaben ist, die künstlich hoch gesetzten Hürden innerhalb der “Volksgesetzgebung” deutlich zu senken…

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