Neues aus der Hamburgischen Bürgerschaft

Plenarsitzung am 10. Dezember 2025

dieBasis hat die letzte Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft vor Weihnachten beobachtet. Wir schauen auf das parlamentarische Geschehen aus der Sicht mündiger und kritischer Bürgerinnen und Bürger – und berichten über Vorlagen und Abläufe, die besonders bemerkenswert oder diskussionswürdig erscheinen.

Was auffiel

Insgesamt gibt es zu diesem Punkt nichts Neues zu berichten. Die Fraktionen stimmten wieder im Block ab, und Anträge der Regierungskoalition wurden angenommen, während solche der Opposition abgelehnt wurden. Die Debatten zu den einzelnen Themen wirkten deshalb häufig wie Scheingefechte.

Es wurde an einer Stelle vom „Schüren der Kultur des Misstrauens“ gesprochen. Die Aussage ist ein framing-orientierter Begriff, der emotionalisiert und Kritik moralisch delegitimiert. Genau dies geschah hier. Der derart Angegriffene hatte zuvor von Befürchtungen in der Bevölkerung gesprochen.

Von formaler Erkenntnis war, dass es neben den Ausschüssen auch Unterausschüsse gibt, wie beispielsweise denjenigen für „Personal öffentlicher Dienst“.

Direkte Demokratie in Hamburg

Das erste Thema der Aktuellen Stunde war: „Klimaneutralität 2045 – damit Klimaschutz bezahlbar, wirtschaftlich und sozial gerecht bleibt.“

Die Debatte drehte sich mit den wohlbekannten Argumenten um den „Zukunftsentscheid“. Die Argumente der verschiedenen Lager brachten nichts Neues und sind wohlbekannt. Wir haben bereits mehrmals darüber berichtet.

Interessant waren vielfach gemachte Äußerungen, das Volk bzw. der Souverän hätte entschieden. Dabei ist zu bedenken, dass die Wahlbeteiligung bei 43,7 % der wahlberechtigten Bevölkerung lag und nur rund 23,2 % mit „Ja“ gestimmt haben. Sofern sich diese Entscheidung als katastrophal herausstellt, werden sich die 56,3 % Nichtwähler fragen müssen, weshalb sie nicht abgestimmt haben. Die Folgen werden sie aber mittragen müssen.

Grundsätzlich kann sich auch das Volk bei Abstimmungen wie dieser irren. So wurde auch die Möglichkeit in den Raum geworfen, eine falsche Entscheidung in einem späteren Volksentscheid korrigieren zu können. Das ist richtig, führt bei solchen Projekten jedoch in die gedankliche Irre. Dies ist ein Langzeitprojekt, das nicht nur technische Fragen, sondern auch einen grundlegenden Umbau der Gesellschaft umfasst. Und mit diesem Umbau wurde bereits begonnen. In einigen Jahren wird es schwer sein, entsprechende Entwicklungen rückgängig zu machen.

Tiefe Blicke in das Selbstverständnis der Politiker etablierter Parteien ließen einige Aussagen zu.

So wurde beispielsweise behauptet, eine von einer Partei initiierte erneute Volksabstimmung sei ein „Angriff auf die direkte Demokratie“. Man fragt sich, wieso das ein Angriff auf die direkte Demokratie sein soll. Auch ein Volk kann sich bei einer Abstimmung irren und muss das Recht haben, die Dinge in einer späteren Abstimmung wieder geradezurücken.

Ein anderer Redner sprach von der Umsetzung einer verfassungsrechtlichen Aufgabe nach Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes. Für diejenigen, die die Passage nicht kennen:

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Die Aussage bezieht sich also auf Volksabstimmungen. Sie klingt wie blanker Hohn: Auf Bundesebene gibt es überhaupt keine Volksabstimmungen, und in Hamburg gab es zusammen mit den beiden aktuellen Volksentscheiden seit 1996 genau neun Entscheide. Eine wirklich funktionierende Volksdemokratie ist aufgrund der hohen Hürden praktisch kaum möglich. Einzelheiten siehe hier:
Gibt es eine direkte Demokratie in Hamburg? – Landesverband Hamburg | dieBasis

Ein weiterer Redner sagte, dass die Beteiligung der Schweizer Bevölkerung an Volksabstimmungen nur bei 45 % liege. Grundsätzlich ist die Aussage richtig. Mit ihr sollte offenbar die geringe Beteiligung der wahlberechtigten Bevölkerung am „Zukunftsentscheid“ in Hamburg und dessen Legitimität gerechtfertigt werden. Wie häufig werden Äußerungen von Politikern dadurch entwertet, dass wesentliche Fakten einfach verschwiegen werden. Und wie so häufig führt das Weglassen zu einem verzerrten Bild der Wirklichkeit.

Verschwiegen wird, dass in der Schweiz auf Bundesebene drei- bis viermal im Jahr über zehn bis fünfzehn Sachthemen abgestimmt wird. Daneben gibt es Abstimmungen auf Kantons- und Gemeindeebene. Die Forschung der Universität Genf zeigt seit einigen Jahren, dass die Mehrheit der Schweizer Stimmberechtigten nicht konstant, sondern selektiv an Volksabstimmungen teilnimmt. Diese „selektive Teilnahme“ bedeutet, dass Bürger je nach Thema, Relevanz und persönlicher Betroffenheit unterschiedlich mobilisiert werden. Insgesamt stimmen rund 20 % der wahlberechtigten Bevölkerung bei jeder konkreten Abstimmung und weitere 20 % bei keiner Abstimmung ab. Das bedeutet, dass im Durchschnitt mindestens 80 % der wahlberechtigten Bevölkerung regelmäßig, aber eben selektiv, abstimmen.

Quellen:
Direkte Demokratie (offizielle Website): Direkte Demokratie
Sciarini & Goldberg (2021): https://access.archive-ouverte.unige.ch/access/metadata/ef1e922f-2d7c-4299-a906-a8c677c85597/download
Sciarini et al. (2016): https://www.researchgate.net/publication/282286729_The_Underexplored_Species_Selective_Participation_in_Direct_Democratic_Votes

Unglücklicherweise gab es für das zweite Debattenthema keine Zeit mehr:

„Das ist keine „Sicherheitsstrategie“, sondern eine Drohung: Trumps Pläne attackieren unsere Demokratie und Unabhängigkeit – Europa muss sich mit aller Kraft wehren“.

Diese Debatte hätte sicherlich einen hohen Unterhaltungswert gehabt und wertvolle Hinweise zur wahren politischen Einstellung unserer Parlamentarier geliefert.

Integration

Es ging in Tagesordnungspunkt 21 um das „Hamburger Integrationskonzept 2017 ‚Wir in Hamburg! Teilhabe, Interkulturelle Öffnung und Zusammenhalt‘ – Bericht über den Umsetzungsstand, Ergebnisse und Zielwerte 2024 sowie Fortschreibung der Zielwerte für 2028“.

Die Regierungskoalition feierte sich für ihre erfolgreiche Integrationsarbeit in Hamburg. Stolz wurde berichtet, dass rund ein Sechstel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ausländische Staatsbürgerschaft habe. Aufgrund einer schnellen ersten Recherche ließ sich diese Zahl nicht verifizieren. Dieses Verhältnis liegt aber sowohl unter der Prozentzahl für Menschen mit Migrationshintergrund (41,2 %) als auch unter derjenigen mit ausländischer Staatsangehörigkeit (20,7 %).

Es wurde das Argument vorgebracht, dass die Massenimmigration eine Integration unmöglich mache. Die Richtigkeit dieser Aussage scheint sich durch Beobachtungen im täglichen Leben zu bestätigen.

Quellen

Statistiken zur Bevölkerung in Hamburg – Mieterverein zu Hamburg

https://metropolregion.hamburg.de/unsere-services/statistikportal/sozialversicherungspflichtig-beschaeftigte-auslaender-14864?utm_source=chatgpt.com

Der Dauerbrenner

In Tagesordnungspunkt 51 ging es um „Mehr Haftplätze im Justizvollzug schaffen und Arbeitsbedingungen für die Vollzugsbediensteten endlich nachhaltig verbessern!“

Die Schwierigkeiten im Hamburger Justizapparat sind hinlänglich bekannt, und wir haben mehrmals darüber berichtet. Diesmal ging es um die Überbelegung Hamburger Strafvollzugsanstalten, die Überbeanspruchung des Vollzugspersonals und hohe Krankenstände.

Interessant war die Idee, im Ausland Strafvollzugsplätze anzumieten. Norwegen und Belgien haben bereits Gefängnisplätze in den Niederlanden angemietet. Bisher schickt Deutschland nur Giftmüll ins Ausland, bald vielleicht auch Kriminelle?

Schockierend war die Aussage eines im Anzug gekleideten Abgeordneten, man möge doch ein Hochsicherheitsgefängnis für Gefährder und Terroristen auf Bundesebene gründen.

Der Begriff „Gefährder“ ist kein gesetzlich definierter Rechtsbegriff, sondern lediglich eine polizeiliche Einschätzung, dass jemand möglicherweise eine schwere Straftat begehen könnte. Gefordert wird hier ein Hochsicherheitsgefängnis für Personen, die keinerlei Straftat begangen haben, sondern lediglich aufgrund eines Verdachts oder bestimmter Verhaltensmerkmale als riskant eingestuft werden.

Ein solcher Freiheitsentzug wäre verfassungswidrig, da das Grundgesetz eine Inhaftierung ohne richterliches Urteil und ohne begangene Straftat grundsätzlich verbietet. Die Idee eines Sondergefängnisses würde damit eine präventive Internierung Unschuldiger darstellen und wäre mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar.

Trotzdem fordert dies ein seriös aussehender Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft!

Weitere Hinweise zur Hamburgischen Bürgerschaft

Die übrigen Themen der Sitzung können dem offiziellen Protokoll entnommen werden:
Protokolle der Bürgerschaftssitzungen – Hamburgische Bürgerschaft (https://www.hamburgische-buergerschaft.de/recherche-info/protokolle)

Wie die Bürgerschaft arbeitet: Die Hamburgische Bürgerschaft bei der Arbeit beobachten (Die Hamburgische Bürgerschaft bei der Arbeit beobachten – Landesverband Hamburg | dieBasis).

Die nächste Plenarsitzung findet am 14. Januar 2026 statt.

dieBasis wird erneut vor Ort berichten.

Bleiben Sie informiert – besuchen Sie unsere Website für weitere Analysen zur Hamburger Landespolitik.

Autor: Peter Scheller

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